ÖFFENTLICHE GESUNDHEIT
Öffentliche Gesundheit und Tourismus
Unser tägliches Verhalten wirkt sich sowohl unmittelbar als auch langfristig auf die menschliche Gesundheit aus. Gesundheitsprobleme werden oft durch Probleme in unserer Umwelt verursacht. Die notwendigen Gegenmaßnahmen für beide sind oft fast identisch. Der Blickwinkel auf die Gesundheit eignet sich deshalb besonders gut, weil er die Auswirkungen einer nicht nachhaltigen Lebensweise in Bezug auf die menschliche Gesundheit beschreibt (und nicht mit einem abstrakteren oder entfernteren Konzept wie der Erschöpfung von Ressourcen oder dem Verlust der biologischen Vielfalt). Dies macht deutlich, dass die Nachhaltigkeit auch eine menschliche Seite hat, dass die Menschen betroffen sind. Nachhaltigkeit ist also nicht nur eine Umweltfrage, sondern auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Aus diesem Grund wird sich die Beobachtungsstelle für nachhaltigen Tourismus in Südtirol eingehend mit dem Aspekt der öffentlichen Gesundheit und der Verbindung zur Nachhaltigkeit befassen.
Der WHO (1946, Übers. d. Verf.) folgend bezeichnet Gesundheit „einen Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens“ und stellt ein Grundrechte für jeden Menschen dar. Das Thema öffentliche Gesundheit hat in den letzten Jahren besondere Aufmerksamkeit erfahren, nicht zuletzt wegen der Covid-19-Pandemie. Dabei gibt es verschiedene Definitionen von öffentlicher Gesundheit, denen zumeist gemeinsam ist, dass sie sich auf die Gesundheit der Mitglieder einer Gesellschaft in ihrer Gesamtheit beziehen, ebenso wie auf die kollektiven und organisierten Bemühungen zum Schutz und zur Verbesserung derselben (siehe z. B. Institute of Medicine, 1988). Es gibt zahlreiche Faktoren, die in ihrem Zusammenspiel die Gesundheit von Einzelpersonen und Gemeinschaften beeinflussen. Zu diesen „Gesundheitsdeterminanten“ gehören das breitere soziale, wirtschaftliche, kulturelle und physische Umfeld, in das eine Person eingebettet ist, ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen, ihre sozialen, familiären und gesellschaftlichen Netzwerke, ihr individuelles Verhalten und Lebensstil sowie angeborene individuelle Eigenschaften und Merkmale (Dahlgren & Whitehead, 1993).
Gesunde Lebensstile, Arbeitsplätze und Destinationen
Auf der Grundlage dieser Determinanten lassen sich mehrere Schnittpunkte zwischen Tourismus und öffentlicher Gesundheit ermitteln (siehe Abbildung unten), die mit verschiedenen Zielgruppen (z. B. Gäste, lokale Bevölkerung, Beschäftigte, Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, Destination) verbunden sind. Typische Beispiele sind Wellness- und Outdoor-Tourismus, die sich positiv auf das Wohlbefinden der Gäste auswirken und gleichzeitig einen gesunden Lebensstil fördern. Außerdem ermöglichen die Interaktion und der Austausch zwischen Gästen und Einheimischen positive emotionale Erfahrungen, die das Wohlbefinden und die Gesundheit auf beiden Seiten erhöhen können. Allerdings kann der Tourismus auch negative Auswirkungen auf die lokale Bevölkerung haben, indem er beispielsweise Stress durch überlastete Straßen und überfüllte Städte verursacht oder das Gesundheitssystem in der Hochsaison unter Druck setzt. Ein weiterer Aspekt, der häufig übersehen wird, ist der körperliche und psychische Stress, dem die Beschäftigten in der Tourismusbranche häufig ausgesetzt sind. Die Schaffung eines gesunden Arbeitsplatzes ist daher für den Schutz und die Förderung der Gesundheit der Beschäftigten unerlässlich.
Ganz allgemein ist eine intakte natürliche Umwelt eine Voraussetzung für die Gesundheit aller Zielgruppen sowie für eine gesunde Destination. Deshalb ist ökologische Nachhaltigkeit auch aus Sicht der öffentlichen Gesundheit ein wichtiges Ziel.
Covid-19 und öffentliche Gesundheit: Urlaubsarten von vorsichtigen und abenteuerlustigen Gästen
Auf der Grundlage der Daten aus der Gästebefragung, die im vorangehenden Abschnitt vorgestellt wurde, haben wir eine eingehendere Analyse zum Thema Gesundheit und Hygiene während der Covid-19-Krise vorgenommen. Mittels einer Hauptkomponentenanalyse (HKA) wurden verschiedene Items des Fragebogens entsprechend ihrer gegenseitigen Verbundenheit und Ähnlichkeit gruppiert. Dadurch konnten latente (d.h. nicht direkt sichtbare) Dimensionen ermittelt werden, um die Art, wie während der Covid-19-Pandemie gereist wurde, besser zu verstehen. Die dazugehörige Studie wird demnächst im Open-Access-Journal Sustainability publiziert. Die mithilfe der HKA gruppierten Umfrage- Items umfassten die Hauptfragen zur Hygiene, zum Reiseverhalten und zu den Beziehungen zwischen Gastgebenden und Gästen.
Zur Beschreibung der Aktivitäten vor Ort wurden die folgenden zwei Dimensionen ermittelt: Isolation, worunter das Vermeiden von Kontakten mit Einheimischen und Gästen sowie der Wunsch, die Urlaubszeit im Hotel zu verbringen, fällt; vorsichtiges Erkunden, worunter das Ausüben von Aktivitäten im Freien fällt, wobei überfüllte Orte und öffentliche Verkehrsmittel dennoch meist gemieden werden. Die HKA-Analyse ergab einen zusätzlichen latenten Faktor, der die Einstellungen gegenüber den Beherbergungseinrichtungen beschreibt: das Bedürfnis und den Wunsch nach Information und Kommunikation zur Selbstüberprüfung des eigenen Gesundheitszustands, aber auch, um über die aktuelle Covid-19-Situation und die Sicherheit der Aktivitäten vor Ort informiert zu sein; eine zweite latente Dimension bezieht sich auf die Hygieneanforderungen an Hotels, einschließlich innovativer Hygienekonzepte; schließlich wurde noch Skepsis als individuelle Einstellung gegenüber anderen Gästen als zentrale Dimension identifiziert. Diese latenten Faktoren wurden als Beschreibungsmerkmale für zwei Gruppen von Gästen verwendet, die durch eine Clusteranalyse gebildet wurden: vorsichtige Gäste und vorsichtig abenteuerlustige Gäste.
In das Cluster der abenteuerlustigen Gäste fallen vor allem internationale Gäste, insbesondere aus Deutschland, die weniger nach zusätzlichen Informationen vor Ort suchten als vorsichtige Gäste und anderen Gästen gegenüber deutlich weniger distanziert waren. Sie neigten dazu, weniger isoliert zu sein und mehr Aktivitäten im Freien zu unternehmen. Bei den vorsichtigen Gästen handelt es sich dagegen meist um einheimische (italienische) Gäste, die stärker die Abgeschiedenheit suchten. Außerdem versuchten diese öfter, Informationen über die aktuellen Entwicklungen vor Ort zu bekommen und waren den anderen Gästen gegenüber skeptischer. Insgesamt scheint diese Studie darauf hinzudeuten, dass die Risikotoleranz während der Pandemie umso höher war, je internationaler die Gästen waren. Diese Hypothese sollte zusammen mit den erwähnten latenten Dimensionen der Gesundheit im Zusammenhang mit dem Tourismus weiter untersucht werden.